Dienstag, 3. Juni 2008
Unten am Fluss
"Mami?"
"Ja, mein Schatz?"
"Darf ich ein wenig unten am Fluß spielen?"
"Natürlich, aber bleib in Rufweite!"
"Mm Mm", nickte das Kind und rannte fort.
Die Mutter sah ihm kurz nach, und widmete sich dann wieder den Pilzen, die sie
hier zu finden hoffte.

Das Kind (nennen wir es Lisa) war grade am Ufer angekommen und wollte sich nach Steinen bücken um sie ins Wasser zu werfen, als sie ein Stück weiter eine Frau am Wasser stehen sah. Sie sah traurig aus, vielleicht weinte sie sogar. In der Hand hatte sie was spitzes, vielleicht ein Messer, Lisa konnte
es nicht genau erkennen.
'Man darf nicht mit fremden reden' hat ihre Mama immer gesagt. Aber Mama war ja in der Nähe. Lisa drehte sich um, und sah ihre Mutter garnicht so weit weg. Wenn etwas war, konnte sie immer noch nach Mama rufen oder? Die Frau war traurig. Vielleicht wollte sie gedrückt werden? Lisa wollte auch immer
gedrückt werden wenn sie weinte.
Langsam ging Lisa auf die komische Frau zu. Die schien sie garnicht zu
bemerken. Sie schaute auf das Wasser. Als Lisa näher kam, konnte sie
hören wie sie schniefte, und jammerte.
"Hallo!" rief sie und lächelte die Frau an. Sie hatte
tatsächlich ein Messer in der Hand.
Die Frau schien erst nicht zu reagieren. Grade wollte Lisa nochmal 'Hallo' sagen. Da drehte sie sich um, und Lisa sah ihr tränenüberströmtes Gesicht. "Geh weg, kleines. Das hier ist nichts für dich!"
Lisa sah sie mit großen Augen an.
"Magst du gedrückt werden?"
Überrascht schaute die Frau Lisa an. Dann lächelete sie.
"Wie heißt du kleines? Und wie alt bist du?"
"Ich heiße Lisa, und werd schon bald 5!"
"Nun, dann hallo Lisa. Ich bin die Marianne, und werd bald 35. Also
sollte ich zumindest."
Diesen Satz verstand Lisa nicht. Aber sie dachte nicht darüber nach.
"Warum weinst du? Hast du dir wehgetan?"
Marianne lächelte.
"Ja, vielleicht ein bisschen. Ich hab mir mein Herz weggetan, weißt
du?"
"Bist du hingefallen?"
Sie lachte.
"Nein. Mehr gegen einen Wand gelaufen."
"In Echt?"
"Naja... Weißt du, ich war einfach dumm. Ich hab gedacht ich kann
ihn ändern, ich hab gedacht es wird alles schön und gut. Aber ich war
dumm."
"Hm, wer denn?"
"Mein Freund. Also, jetzt nicht mehr. Denke ich. Ich bin
weggelaufen."
"Aber man darf doch nicht weglaufen. Sagt Mami immer. Sonst macht sich
immer jemand Sorgen, und wird ganz traurig und so."
"Ach, kleines, um mich macht sich keiner Sorgen"
"Nein, das glaub ich nicht. Du hast bestimmt auch eine Mama."
Marianne dachte kurz nach. Ja. Natürlich hatte sie eine Mama. Aber sie
sahen sich nur selten. Nur wenn sie es musste.
"Ja, aber meine Mami und ich streiten uns auch immer."
"Na und? Ich streit mich auch immer mit der Mami. Aber sie hat mich
trotzdem noch lieb. Und ich sie doch auch. Ganz wirklich. Hast du deine Mama denn nicht lieb?"
Wieder lächelte Marianne. Vielleicht sollte sie ihre Mutter doch
öfter mal anrufen. Auch mal einfach so.
"Natürlich hab ich sie lieb. Doch."
"Also! Dann darfst du nicht weglaufen. Wenn du traurig bist, kann sie
dich doch trösten. Und wenn du magst, kann ich dich auch mal drücken.
Sowas hilft mir immer."
Marianne lächelte sie an. Legte das Messer auf den Boden und streckte die Arme aus.
"Okay."
Lisa lächelte und drückte sie ganz fest.
"Danke" flüsterte Marianne ihr ins Ohr, und wischte schnell die
Träne weg, diesesmal eine schöne Träne.

"Lisa!" hörte man jetzt die Mutter rufen. "Komm her, wir
müssen gehen".
Lisa schaute Marianne und lächelte. "Ich muss jetzt gehen"
"Ja, ich höre es. Geh schnell, bevor sie sich Sorgen macht."
Lisa ging langsam ein paar Schritte rückwärts. Lächelte,
winkte, drehte sich um und lief schnell davon.
Marianne sah ihr noch eine Zeitlang nach. Dann fiel ihr Blick auf das Messer, das noch am Boden lag.
Der Gedanke jetzt zu gehen, jetzt Schluß zu machen, war ihr
plötzlicher fremder und ferner als der Gedanke dass sie jetzt auf der
Stelle fliegen konnte.
Die kleine hatte sie beeindruckt, hatte sie getröstet, hatte sie
gerettet.
Sie war noch nicht zu alt. Nein, wirklich nicht. Vielleicht könnte sie
auch noch ein Kind bekommen. Vielleicht sogar bald.
Zu dieser Geschichte hat mich meine kleine Tochter Veyda inspiriert.
Sie zeigt mir immer wieder auf wunderbare Weise wie kindliche Naivität, diese kindliche Sorglosigkeit, das Leben erleichtern könnten.
Von kleinen Kindern kann man viel lernen :-)


A.E.


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